Die Kanaille

Skizze von Teo von Torn
in: „Agramer Zeitung” vom 17.11.1900,
in: „Neues Wiener Journal” vom 17.11.1900,
in: „Mährisches Tagblatt” vom 19.11.1900,
in: „Bukowinaer Post” vom 19.03.1908


Mit dem Abschlagen vor dem Hotel „Drei Kronen” am Markt war der Zapfenstreich zu Ende. Die Truppen marschirten ab und das Publicum zerstreute sich. Nur ein Paar Dutzend Menschen von denen, die nicht genug kriegen können, wenn „was los ist”, umstanden den Doppelposten oder gafften zu der von blühenden Schlingpflanzen umrankten Terasse hinauf, wo Seine Exzellenz der kommendirende General von Hösch mit den Stabsoffizieren des Regiments soupirte.

Die mit rothseidenen Schirmchen umkleideten Windlichter warfen einen matten rosigen Schimmer bis zur halben Fronthöhe des Hotelgebäudes und durch die Oeffnungen der hohen Brüstung auf den Markt. Dazwischen die eilenden Schatten der Kellner — und hier und da die aufblitzenden Kandillen eines Majors oder Oberstlieutenants, der sich erhob, wenn der General ihm zutrank.

Das diskrete Klirren und Klingen der Teller, Messer und Gläser nahm ab, dagegen ging die Unterhaltung etwas aus ihrer gedämpften Reserve. Manchmal hörte man sogar ein kurzes, sozusagen militärisches Auflachen. Blaue Rauchwolken zogen durch die Ranken der Glyzinen und verwehten in der linden Mailuft. Nach ein paar Minuten ein allgemeines Scharren und Rücken der Stühle. Das Souper war zu Ende.

Excellenz hatte sich erhoben und besprach mit dem Regimentscommandeur einige Einzelheiten der morgigen Besichtigung. Die hohe Gestalt des Generals mit dem graublonden Kaiserbart überragte um Haupteslänge den rundlichen Oberst, dessen Dienstgesicht zu der Weinröthe, die auf ihm lagerte, nicht recht harmonirte. Es machte sich, als wenn man einen Menschen, der Lust hat, fidel zu sein, zum Ernst zwingt.

„Und noch eins, Herr Oberst,” sagte der General, indem er die Asche seiner Cigarre abstrich, „der Zapfenstreich wurde von meinem Sohne commandirt?”

„Zu Befehl, Excellenz, — Oberlieutenant von Hösch.”

Der General verbeugte sich leicht, als wollte er für eine ihm erwiesene Aufmerksamkeit seinen Dank ausdrücken. Aber nur ganz flüchtig und ohne von seiner Cigarre aufzusehen, deren „Bock”-Binde er anscheinend interessiert prüfte. Nach ein paar Secunden sah er auf und faßte den kleinen Herrn so scharf ins Auge, daß dieser aus der lascheren Liebesmahl-Haltung in die strammste Dienstlichkeit sich zusammenriß.

„Sind Sie mit meinem Sohn zufrieden, Herr Oberst?”

„Vollkommen, Excellenz.”

„Auch außerdienstlich?”

Oberst Graf Schtraut ließ das Doppelkinn etwas tiefer auf den mit dem Johanniterkreuz geschmückten Uniformkragen sinken und machte ein nachdenkliches Gesicht. Es kam ihm eigentlich erst jetzt zum Bewußtsein, daß er dem Lieutenant von Hösch im letzten Jahre gesellschaftlich auffallend wenig begegnet war. Seit der gemeinsamen Reise zu der Hochzeitsfeier Seiner Excellenz — der verwittwete General von Hösch hatte vor etwa zehn Monaten zum zweiten Male geheirathet — eigentlich garnicht mehr.

„Herr Lieutenant von Hösch,” äußerte er dann langsam, als müßte er jedes Wort aus dem Gedächtnisse herausholen, „scheint sich in letzter Zeit gesellschaftlich zurückzuhalten — im Uebrigen — —”

„Glauben Sie, daß er Schulden hat oder eine ernstere Liaison, die ihn in Anspruch nimmt?” Da der Oberst bei dieser fast grimmig hervorgestoßenen Frage seines hohen Vorgesetzten doch etwas befremdet dreinschaute, fügte dieser verbindlich hinzu: „Verzeihen Sie — die Besorgniß eines Vaters, Herr Oberst — und nehmen Sie meine Frage als die vertrauliche eines Kameraden.”

Graf Schtraut klirrte die Sporen zusammen.

„Excellenz, von dergleichen ist mir absolut nichts bekannt. Scheint auch vollständig ausgeschlossen — in unserer kleinen Garnison würde so etwas kaum verborgen bleiben.”

Der General reichte dem Oberst die Hand.

„Ich danken Ihnen herzlich, Herr Kamerad. Es beruhigt mich das umsomehr, als ich nachträglich erfahre, daß mein Sohn auf Kriegsschule keineswegs Duckmäuser gewesen ist, als den er sich jetzt — auch dem Elternhause gegenüber — geben zu wollen scheint. Er ist niemals um Urlaub bei Ihnen eingekommen?”

„Nein, Excellenz. Auch von meinem gelegentlichen Anerbieten meinerseits hat Herr Lieutenent von Hösch bis jetzt keinen Gebrauch gemacht.”

Der General nickte vor sich hin. Schon bei der letzten Frage hatte er einem der Kellner einen Wink gegeben, ihm Mantel und Mütze zu reichen. Jetzt hing er ersteren über die Schultern und nahm die Handschuhe aus der Mütze.

Die Herren vom Regiment hatten bei dem Aufbruch Seiner Excellenz ihre Konversation unterbrochen und Haltung genommen. An jeden richtete der General ein paar freundliche Worte und verabschiedete sich dan von dem Oberst mit nochmaligem Händedruck.

„Auf Wiedersehen, meine Herren, morgen früh!”

Allgemeines Zusammenschlagen der Hacken. Der General legte zwei Finger der Rechten an den Mützenschirm und schritt die Freitreppe hinab auf den im Dunkel und Schweigen liegenden Marktplatz.

Der Doppelposten präsentirte in klappenden Griffen das Gewehr.

— — —

General von Hösch hatte den ihm von seinem Sohne angebotenen Sitz mit einer kurzen ungeduldigen Handbewegung abgelehnt. Im Mantel, die Mütze in der Hand, stand er mitten im Zimmer. Mit einem einzigen Blick hatte er die bescheidene, von dem grünen Schein einer Arbeitslampe matt beleuchtete Einrichtung ins Auge gefaßt.

Der Lieutenant war noch in Uniform, mit der Adjutantenschärpe. Da sein Vater sich nicht setzte, verharrte er in strammer Diensthaltung. Die Aehnlichkeit Beider war unverkennbar. Dieselbe hohe Stirn mit einer sonderbaren tiefen Falte zwischen den Brauen, dieselbe gerade, nur an der Spitze leicht gebogene Nase. Selbst die ernsten graublauen Augen des jungen Officiers blickten mit emelben Ausdruck unnachsichtiger Schärfe wie die des Vaters.

Und mit diesem Ausdruck begegnete er dem im ganzen Armeekorps gefürchteten Blick des Generals.

„Ist es Dir nicht bekannt, mein Sohn, daß der den Zapfenstreich commandirende Officier sich bei seinem General zu melden hat?”

„Sehr wohl, Papa, — aber ich habe strikte Orde von Dir, jede persönliche Begegnung zu vermeiden — —”

„Solange Du die seltsame Marotte hast, Dein Vaterhaus in einer sp lieblosen, mir absolut unverständlichen Form zu meiden!”

Der General sprach das mit erhobener Stimme, streng und schneidend.

„Im übrigen,” fügte er gemäßigter hinzu, „gilt meine Ordre natürlich nur insoweit, als sie mit den Gesetzen und Reglements vereinbar ist, denen wir Beide unterworfen sind. Doch das nur beiläufig. Ich bin gekommen, um Dich persönlich zur Taufe Deines jüngsten Bruders einzuladen. Du wirst kommen.”

Das klang so ruhig und selbstverständlich, daß wohl niemand sonst einen Widerspruch gewagt hätte. Aber ebenso ruhig erwiederte Erich von Hösch:

„Nein, Papa.”

Eine Minute herrschte tiefes Schweigen. Man hörte nur das geschäftige Ticken der kleinen Standuhr auf der Spiegelconsole.

Dann trat der General so dicht an seinen Sohn heran, daß die rothen Aufschläge seines Mantels ihn berührten und der junge Officier das schwere Athmen des Vaters auf seinem Gesichte fühlte.

„So also,” knirschte der General ihn an, „sieht ein Officier aus, der wie ein hysterischer Backfisch in seiner Stiefmutterangst so weit geht, daß er dem Vater die schuldige Achtung des Gehorsams verweigert. — Ruhe Herr, jetzt spreche ich!” rief er fast brüllend, als der Sohn den Mund zu einer Einwendung öffnete. Dann legte er beide Hände mit der Mütze auf den Rücken und wiegte den Oberkörper auf und nieder, um der schneidenden Ironie seiner Worte noch verletzenderen Ausdruck zu geben.

„Dieser Officier ist auch derselbe Musterknabe, der nach Außen hin vor der Liebe und den Weibern den Respect eines lyrischen Secundaners heuchelt, im Stillen aber ein windiges Verhältniß mit einer fidelen Wittib unterhalten hat — mit einer Dame von Rang, wie ich gehört habe, aber — einem Frauenzimmer von Gesinnung —”

„Nimm diese Worte zurück, Vater! Du weißt nicht was Du thust! Du darfst die — Dame nicht beleidigen! Hörst Du! Du darfst nicht!

Der General schüttelte verächtlich die zitternden Hände ab, die sich beschwörend auf seine Schulter gelegt hatten.

„Ich werde Dich fragen, wie ich Deine lockeren Poussaden zu bezeichnen habe, nicht wahr?!” höhnte er mit grimmigem Auflachen. „Im Uebrigen wollen wir's kurz machen, mein Verehrtester. Entweder Du erbittest morgen einen achttägigen Urlaub und bist binnen jetzt und sechsunddreißig Stunden zu Hause oder — der General v. Hösch hat keinen Sohn Namens Erich, da dieser Sohn eine eigensinnige, pietätlose Canaille ist.”

In demselben Moment aber trat der General einen Schritt zurück. Der junge Officier hatte eine Bewegung gemacht, als wollte er sich auf ihn stürzen. Aber nur für eine flüchtige Secunde, dann erschlaffte jede Muskel an ihm. Aufstöhnend, wie ein geschlagenes Thier, lehnte er sich an den Schreibtisch. So verharrte er minutenlang — und große Thränen perlten auf des Königs Rock.

Aber keine Antwort. Der General setzte die Mütze auf und wandte sich brüsk zum Gehen. Ein Klirren und Rasseln veranlaßte ihn, noch in der Thür sich umzuschauen — —

Sein Sohn schnallte den Säbel ab und legte ihn mit der Schärpe auf den Tisch. Dann riß er die Epauletten von den Achseln und legte sie dazu. Ohne aufzusehen, ging er in sein Schlafzimmer — und ehe der General nacheilen konnte, war die Thür verriegelt — —

Erich ! ! ! —

Zu spät.

— — —

Als Ihrer Excellenz, der Frau Generalin v. Hösch, das Telegramm ihres Gemahls überreicht wurde und sie von der Unglücksbotschaft Kenntniß nahm, wechselte sie die Farbe. Ihre weißen Zähnchen bohrten sich in die Unterlippe und ein paar Minuten starrte sie auf die Arabesken des persischen Teppichs zu ihren Füßen.

Dann trat sie vor den Spiegel und ordnete nachdenklich an den Stirnlöckchen ihres reichen rothblonden Haares.

„Er war immer ein bischen verdreht — der gute Erich — — schließlich — die Lage ist jetzt unbedenklicher — eine Lösung . . .”

„Sophie — Anton soll sofort anspannen — ich nuß zu Gerson wegen der Trauertoilette.”

— — —